Die Mitglieder von RollOn Austria verstecken ihre Behinderung nicht. Im Gegenteil, stolz setzen sie sich für die Rechte behinderter Menschen ein. Auch beim Papst. In diesem Jahr feiert der Verein sein 30. Jubiläum (Artikel auf 2019).
Man sollte meinen, mit Engeln kennt sich Papst Franziskus aus. Doch dieser hier, der am 5. Juni dieses Jahrs seine Segnung empfängt, ist anders. Der golden leuchtenden Engelsskulptur fehlt ein Flügel. Die Skulptur ist die Botschafterin des österreichischen Vereins „RollOn Austria – Wir sind behindert“, der sich für die Rechte behinderter Menschen einsetzt – und das seit nunmehr 30 Jahren. Das Jubiläum schien genau der richtige Anlass, um das erste Denkmal weltweit zu schaffen, das dem behinderten Leben gewidmet ist. Die Segnung durch den Papst bei einer Generalaudienz ist auch eine wunderbare Anerkennung für die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre.
Gegründet wurde RollOn 1989 von den Kapuzinern. Ziel ist es bis heute, behinderten Menschen eine Stimme zu geben und sie zu fördern. Obfrau seit der ersten Stunde und auch das Gesicht von RollOn ist Marianne Hengl. Die gebürtige Salzburgerin wurde selbst mit einer Gelenkversteifung an allen vier Gliedmaßen geboren und sitzt im Rollstuhl. Heute ist sie Behindertenaktivistin und Buchautorin. Sogar am Telefon springt die mitreißende Lebensenergie der 55-Jährigen über, die, falls notwendig, auch ins Kämpferische gipfelt. Vieles hat der Verein bis heute erreicht und Berührungsängste abgebaut. So fühlen sich nicht-behinderte Menschen heute doch ein bisschen freier, Fragen zu stellen, die sie sich früher nicht zu fragen trauten. Und wer fragt, um andere besser zu verstehen, weiß auch, wie er helfen kann. Hilfe kommt auch von den vielen Sponsoren, zu denen auch Wüstenrot seit 15 Jahren zählt. Mit ihren Geldern unterstützt der Verein Familien mit behinderten Kindern, durch das Netzwerk werden Arbeitsplätze vermittelt. „Mit RollOn-Events und unserer Lebensfreude überzeugen wir die Menschheit, dass ein Leben mit Behinderung seine Berechtigung hat und mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden muss“, sagt Marianne Hengl. Dank der finanziellen Unterstützung von Wüstenrot kann die Obfrau eine Sekretärin einstellen, die sie bei der Arbeit unterstützt. Denn sie hat viel zu tun.
Vor einigen Jahren erreichte Marianne Hengl etwa der Hilferuf eines Elternpaars aus Niederösterreich. Die Tochter, die wie die Obfrau selbst mit einer Gelenkversteifung an allen vier Gliedmaßen lebt, hatte bis vor kurzem noch eine Tourismusschule besucht. Nach zwei Jahren behauptete ein Lehrer jedoch, sie könne die Ausbildung nicht fortsetzen, da das Mädchen im Unterrichtsfach Service nur einen Teller tragen könne, anstelle von vier. Sie sollte die Schule verlassen. „Die Familie kam dann zu mir und ich habe Vollgas gegeben und dem Landesschulrat sowie der Bundesministerin geschrieben. Das wurde ignoriert“, erinnert sich Marianne Hengl, die sich so schnell nicht unterkriegen lässt. „Anschließend bin ich an die Öffentlichkeit gegangen, das gab dann ein riesengroßes Aufsehen mit einer großen Unterschriftenaktion.“ Ihre Hartnäckigkeit wurde belohnt. Das Mädchen durfte die Schule weiter besuchen und maturierte zwei Jahre später mit Auszeichnung. Eine von vielen Erfolgsgeschichten. „Wir haben insgesamt 60 Menschen einen Arbeitsplatz vermittelt“, sagt Marianne Hengl. „Flüchtlingsfamilien mit behinderten Kindern haben wir zum Beispiel Wohnungen und Hilfsmittel besorgt.“
Auch die ORF III Fernsehsendung „Gipfel-Sieg“ gehört zum Portfolio von RollOn Austria. Ein behinderter Mensch tauscht sich mit einem prominenten Menschen aus. Gemeinsam blickt man auf einen herausfordernden Lebensabschnitt zurück und spricht über den persönlichen „Gipfel-Sieg“. „Dabei kommt häufig heraus, dass der behinderte Mensch, der zufriedenere ist, bei allen Erfolgen große Freude empfindet und viel bescheidener ist“, schildert Marianne Hengl ihre Beobachtung. Über Ereignisse wie die Fernsehsendung werden behinderte Menschen aus ihrem Randgruppendasein geholt und in den Fokus gerückt. Schließlich bedeute eine Behinderung nicht, sich verstecken zu müssen, betont die Obfrau immer wieder.
Ein Thema, auf das sie zukünftig noch stärker aufmerksam machen will, ist die Pränatale Diagnostik. Die Rasterfahndung nach einem behinderten Leben beginne mit den heutigen technischen Möglichkeiten bereits im Mutterleib. „Es gibt einen großen Druck auf die werdenden Mütter, auch von der Medizin, dass sie behinderte Kinder gar nicht mehr auf die Welt bringen“, kritisiert Marianne Hengl. Nicht zuletzt für die noch ungeborenen Kinder steht der Engel, der mit einem Flügel genauso magisch wirkt wie mit zweien.
Zitat Dr. Susanne Riess, Wüstenrot Generaldirektorin:
Wir unterstützen die Arbeit von Marianne Hengl und ihrem Team von Verein RollOn gerne, denn gemeinsam engagieren sie sich für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Berührungsängste, in der man wertschätzend und respektvoll miteinander umgeht. In Bezug auf seine Würde sollte es keinen Unterschied machen, ob ein Mensch mit oder ohne Handicap durchs Leben geht. Dass sich Marianne Hengl dafür so leidenschaftlich einsetzt, macht sie für mich zu einem Vorbild.