Interviewsituation mit einem Mann und einer Frau im Gespräch an einem Tisch. Im Hintergrund das Bild des Interviewpartners von Kirchtag Schirme: Andreas Kirchtag
Jahrhundertfirmen

Kirchtag Schirme: Über ein Wagnis, das aufging.

Der Schnürlregen gehört zu Salzburg wie Mozart oder „Jedermann“. Die Landeshauptstadt zählt zu den regenreichsten im Österreich-Vergleich – wenig verwunderlich also, dass einer der traditionsreichsten Schirmemacher Österreichs genau hier sitzt: Das Familienunternehmen Kirchtag fertigt seit 122 Jahren Schirme in Handarbeit und fördert damit ein aussterbendes Gewerbe.

 

Lesedauer: 7 Min.

Seit rund vier Jahrhunderten schützen sie uns, unsere Frisuren und unsere Kleider vor dem Regenguss. In manchen Gegenden sind sie ein täglicher Begleiter, in anderen ein saisonaler: Regenschirme. Unverwüstlich trotzen sie den Witterungen und das bereits seit dem 17. Jahrhundert – zumindest gehen die ersten Belege über die Verwendung von Regenschirmen auf diese Zeit zurück.

Ganz so alt ist der Schirmmacher Kirchtag in Salzburg noch nicht, aber mit mittlerweile 122 Jahren blickt das Unternehmen ebenfalls auf eine stolze Geschichte zurück. Es behauptet sich mit seinen Qualitätsschirmen, die händisch in der Salzburger Getreidegasse hergestellt werden, gegen die konkurrierenden Billigproduzenten. Dies gelingt unter anderem durch eine große Prise Authentizität und Originalität, für die der Familienbetrieb mittlerweile in der vierten Generation steht.

Wir haben Geschäftsführer Andreas Kirchtag getroffen und mit ihm über das Erfolgsgeheimnis seines über 100-jährigen Unternehmens gesprochen. 

100 Jahre erfolgreich wirtschaften

Wirtschaftlicher Erfolg ist vielschichtig und von zahlreichen Faktoren abhängig. Doch wenn ein Unternehmen 100 Jahre und mehr besteht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Welche Strategien, Werte und Prinzipien tragen zu diesem außergewöhnlichen Erfolg bei?

Die 100-jährige Geschichte von Wüstenrot zeigt eindrucksvoll, dass nachhaltiges Wachstum vor allem durch Kundennähe, kontinuierliche Innovationskraft und ein verantwortungsbewusstes Produktangebot gelingt.

  • Entdeckt hier alles zum Wüstenrot Jubiläumsjahr.

Im Rahmen unseres Jubiläums möchten wir deshalb gemeinsam mit anderen traditionsreichen Unternehmen aus Österreich und der ganzen Welt den Erfolgsfaktoren auf den Grund gehen. Diese Gespräche geben Einblicke in bewährte Erfolgsrezepte, die Generationen verbinden und den Herausforderungen der Zeit trotzen. 

  • Lest hier die Unternehmensporträts erfolgreicher Firmen wie Zauner Konditorei, STARKL Gärtnerei, Kärcher, ÖBB, Kirchtag Schirme und viele mehr.

Interview mit Geschäftsführer Andreas Kirchtag

Ihr Unternehmen gibt es jetzt seit 122 Jahren. Was waren die großen Meilensteine ihrer Geschichte?

Meine Urgroßeltern gründeten das Geschäft 1903 in der Getreidegasse 50, dann übernahmen es meine Großeltern 1933 und 1942 übersiedelten wir an die heutige Adresse in der Getreidegasse 22. Mein Großvater war ein gelernter Schirmmacher und somit ein Handwerker, deshalb führte meine Großmutter den Betrieb – sie hatte den Geschäftssinn. Neben der Schirmproduktion hatten wir vor allem viele Reparaturaufträge, die anfangs noch direkt im Geschäft gemacht wurden. Weil es zu dieser Zeit noch mehr Schnürlregen in Salzburg gab und Billigschirme nicht so verbreitet waren, ließen Kund:innen ihre Schirme öfter reparieren. Wir kamen auf 10.000 Reparaturen im Jahr – das ist enorm. 

Damit wir dieser Menge nachkommen konnten, vergrößerten wir uns 1951 und kauften den Halbstock im Haus, um dort die Werkstatt einzurichten. In den 1970er-Jahren übernahmen dann mein Vater und mein Onkel das Geschäft von meiner Großmutter und stellten die Produktion ein. Schließlich erhielt ich in den 1990er-Jahren die Anteile meines Vaters und 2018 auch die Anteile meines Onkels. Seitdem bin ich Geschäftsführer. 

Das heißt, Sie haben nicht immer eigene Schirme hergestellt? Wann haben Sie dann wieder mit der Produktion gestartet?  

Zu Beginn hatten wir eine eigene Schirmproduktion. Mein Vater und mein Onkel waren beide gelernte Schirmmachermeister und stellten selbst Schirme her. Aber als Billigschirme immer verbreiteter wurden, stellten wir die Produktion ein.

Das änderte sich 1994: Eines Tages hörte ich beim Autofahren eine Sendung über Marketing und dachte mir, dass es uns gelingen müsse, selbst eine starke Marke aufzubauen. Wir hatten damals zwar das Wissen, um Schirme herzustellen, machten es aber nicht! Also entwarfen wir unseren ersten eigenen Schirm seit vielen Jahren – einen Schirm, den keine Fabrik machen kann. Einen Schirm, den man wiedererkennt.

Das war natürlich ein Wagnis, aber es ging auf. Ich erinnere mich, dass es draußen 30 Grad hatte und wir zwei unserer Schirme verkauften. Da wurde uns klar, dass wir bei Regen noch viel mehr verkaufen würden. Heute produzieren wir 500 bis 600 Schirme pro Jahr. 

Magazin: Die Jahrhundertfirmen

Am 1. Juli erschien in der Kleinen Zeitung eine exklusive Magazin-Beilage: "Die Jahrhundertfirmen – Über 100 Jahre erfolgreich – kein Zufall, sondern Haltung“. Das Magazin entstand in Kooperation mit Wüstenrot und widmet sich der Frage, was Unternehmen langfristig trägt. Es beinhaltet:
Sieben Interviews mit österreichischen und internationalen Unternehmen, die seit über 100 Jahren bestehen.
Gespräche mit einem Wohnhistoriker, einem Zukunftsforscher
Porträts junger, nachhaltig ausgerichteter Firmen wie refurbed oder woom

Wie entsteht denn ein Kirchtag-Schirm genau?

Die Produktion eines Schirms dauert zirka fünf Stunden und erfolgt vollständig in Handarbeit. Unsere Stöcke werden per Hand geschliffen und geölt, die Stoffe händisch genäht und aufgebügelt – es ist eine eigene Kunst, die heute nicht mehr gelehrt wird. Früher gab es dafür eine eigene Lehre, aber jetzt kann man das Wissen nur noch von Mitarbeiter:in zu Mitarbeiter:in weitergeben. Es ist leider ein aussterbendes Gewerbe. 

Kirchtag Schirme

Gab es in den 122 Jahren Ihrer Firmengeschichte auch Krisen und wie hat Ihr Unternehmen diese gemeistert?

Die Corona-Zeit war dramatisch, denn das Geschäft brach um 80 Prozent ein. In der Getreidegasse war kein Mensch mehr zu sehen – das war unheimlich. Unser Ziel war es, nach dieser Zeit so schnell wie möglich wieder auf die Produktionszahlen von vor Corona zu kommen und interessanterweise waren die eigenen Schirme genau das, was als erstes wieder funktionierte.

Herausfordernd waren auch immer die Übergaben, wenn ein Schirmmacher oder eine Näherin in Pension gingen. Da es keine Lehre mehr gibt und sich kaum junge Menschen für dieses Gewerbe interessieren, mussten wir lange suchen, bis wir geeignete Nachfolger:innen finden konnten. Das brachte uns oft an unseren Grenzen, doch zum Glück ging es immer gut aus. 

Welche Bedeutung hat die eigene Unternehmensgeschichte für die Weiterentwicklung des Unternehmens? Gibt es Werte, Strategien oder Herangehensweisen, die Sie bis heute beibehalten haben?

Unsere Handschlag-Qualität ist so etwas wie unser Markenzeichen und darauf lege ich sehr viel Wert. Ich stehe immer zu meinem Wort und feilsche nicht. Wenn beispielsweise eine Firma bei uns ihre Produkte verkauft und die Verkäufe gerade nicht so gut laufen, dann behalte ich diese Produkte trotzdem im Sortiment. Schlechte Zeiten kommen und gehen, aber mit verlässlichen Partnern kann man das alles meistern.

Authentizität ist für mich das Um und Auf – nicht nur bei Geschäftspartnern und Kund:innen, sondern auch bei Mitarbeiter:innen. Man muss sein Team gut behandeln, damit es auch gerne im Unternehmen bleibt. Dann stehen sie auch zu 100 Prozent hinter dem Betrieb und nur so kann dieser reibungslos laufen. Es ist eben in allen Belangen ein Geben und Nehmen. 

Kirchtag Schirme

Was würden Sie Menschen raten, die heute ein Unternehmen gründen, um mindestens 100 Jahre erfolgreich zu sein?

Wichtig ist, an das eigene Unternehmen und das eigene Produkt zu glauben. Und auch die Nachfolge ist wichtig: Man trägt als Unternehmer:in zwar Verantwortung für die Firma, darf sie aber den eigenen Kindern nicht aufzwingen.

Außerdem ist die Freude an dem Ganzen sehr wichtig. Wenn die nicht vorhanden ist, sollte man sich nicht selbstständig machen. Um ein Unternehmen erfolgreich zu führen, muss man viel investieren – nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit. Und es braucht natürlich auch ein bisschen glücklichen Zufall. Nachdenken darf man nicht darüber, sonst könnte man Angst bekommen. (lacht)

In meinem Fall ist es glücklicherweise aufgegangen. Es ist eine schöne Arbeit, an der am Ende ein schönes, wertiges Produkt steht. 

Kirchtag Schirme

Unternehmen: Kirchtag GmbH

Gegründet: 1903

Zentrale: Getreidegasse 22, Salzburg

Standorte: Getreidegasse Salzburg, Europark Salzburg

Mitarbeiteranzahl: 14

www.kirchtag.com

Irrtum, Änderungen und Tippfehler vorbehalten.