Ein Jahrhundert Wüstenrot: Generaldirektorin Susanne Riess-Hahn spricht über die Rolle von Stabilität in einem volatilen Umfeld, über unternehmerischen Weitblick und Fortschritt – und darüber, was persönliche Herausforderungen mit Führungsstärke zu tun haben.
Text: Nina Prehofer (Kleine Zeitung)
Frau Riess-Hahn, uns interessiert: Worauf haben Sie als Kind gespart?
Ich habe als Kind lange gespart – und das aus einem ganz einfachen Grund: Ich träumte davon, einen Hund zu besitzen. Als ich sechs Jahre alt war, erfüllten mir meine Eltern diesen Wunsch. Gleichzeitig begann ich, für weitere Wünsche zu sparen. Für junge Leser:innen mag es interessant sein zu wissen, dass man sich damals auch noch Schallplatten kaufte – meine erste war „David Bowie – Major Tom“. Das war mein erster eigenständiger Kauf.
Wirtschaftlicher Erfolg ist vielschichtig und von zahlreichen Faktoren abhängig. Doch wenn ein Unternehmen 100 Jahre und mehr besteht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Welche Strategien, Werte und Prinzipien tragen zu diesem außergewöhnlichen Erfolg bei?
Die 100-jährige Geschichte von Wüstenrot zeigt eindrucksvoll, dass nachhaltiges Wachstum vor allem durch Kundennähe, kontinuierliche Innovationskraft und ein verantwortungsbewusstes Produktangebot gelingt.
Im Rahmen unseres Jubiläums möchten wir deshalb gemeinsam mit anderen traditionsreichen Unternehmen aus Österreich und der ganzen Welt den Erfolgsfaktoren auf den Grund gehen. Diese Gespräche geben Einblicke in bewährte Erfolgsrezepte, die Generationen verbinden und den Herausforderungen der Zeit trotzen.
Wie hat sich Ihr Sparverhalten im Laufe der Jahre verändert, als Sie älter wurden?
Meine Einstellung zu Geld hat sich grundlegend verändert, als meine Eltern, die mir sehr großzügig mein Studium finanziert haben, mich dann sanft, aber bestimmt auf eigene Beine gestellt haben. Plötzlich musste ich für alles selbst sorgen – von Auto, Versicherungen bis hin zu alltäglichen Ausgaben. Das war sehr lehrreich, denn diese finanzielle Realität öffnete mir die Augen, wie wichtig ein durchdachter Umgang mit Geld ist. Meine Mutter war für mich immer ein Vorbild: Sie zeigte mir, dass man nur das erreichen kann, wofür man sich auch anstrengt. Als berufstätige Frau und Geschäftsführerin einer Baumschule schon in jungen Jahren, lebte sie mir vor, dass es im Leben keine Geschenke gibt, dass man sich alles verdienen muss.
Wie bewerten Sie persönlich das hundertjährige Jubiläum von Wüstenrot – sowohl für das Unternehmen als auch für Sie?
Es ist außergewöhnlich, einen solchen Meilenstein zu feiern. Nur etwa ein Prozent, vielleicht sogar weniger, der weltweit tätigen Unternehmen erreicht ein solches Jubiläum. Das zeigt, dass hinter Wüstenrot eine beeindruckende Leistung und eine starke Unternehmenskultur stehen.
Besonders stolz bin ich darauf, wie wir es geschafft haben, über Jahrzehnte hinweg in einem sich ständig wandelnden Umfeld erfolgreich zu bleiben. Die vergangenen hundert Jahre umfassten eine enorme Wirtschaftskrise in den 30er-Jahren, einen Weltkrieg, den Wiederaufbau, Hoch- und Niedrigzinsphasen, die Finanzkrise. Es ist die Leistung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die immer bereit waren, sich auf etwas Neues einzustellen und Dinge auch unter geändertem Blickwinkel zu sehen und vor allem aus der Perspektive unserer Kundinnen und Kunden zu denken und Produkte zu entwickeln, die Bestand hatten und haben.
Worauf basiert Ihre Erfolgs-DNA?
Unsere DNA basiert auf einem soliden Geschäftsmodell – dem Grundbedürfnis nach Wohnen, Wohneigentum und finanzieller Vorsorge –, kombiniert mit der kontinuierlichen Anpassung an neue technologische und gesellschaftliche Entwicklungen.
Am Beginn der Gründungsgeschichte von Wüstenrot stand die Idee Georg Kropps, der gesagt hat, wie schaffen wir es, dass sich Menschen mit kleinem Einkommen auch Wohneigentum leisten können? Das war und ist ein riesiges Grundbedürfnis und Vorsorgethema, an dem sich bis heute nichts geändert hat. Auch jetzt leben wir in einer Situation, in der wir uns fragen müssen, wie können sich Menschen Wohneigentum leisten? Dass wir in diesem Bereich einen Beitrag leisten können, ist ein ganz wichtiger Punkt.
Kann man sich heute mit kleinem Einkommen Wohneigentum noch leisten?
Ich glaube, dass man das kann. Es ist außerdem essenziell, weil wir sehen, dass beim Mieten die Kosten enorm steigen. Den Erwerb von Wohneigentum muss man über einen ganzen Lebenszyklus sehen. Für viele Menschen ist das eine Entscheidung, die sie einmal im Leben treffen. Und ja, es müssen viele Faktoren zusammenkommen und auch die Förderungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand müssen aufeinander abgestimmt sein. Das Modell der Bausparkassen, nämlich dass man Eigenkapital anspart, um sich dann eine Finanzierung leisten zu können, ist eines, das Bestand hat und sicher ist. Das zeigt sich bis heute.
Wir entwickeln unsere Produkte immer aus Kundenperspektive. Zusätzlich bemühen wir uns um exzellente Services.
Mit der Gründung der Wüstenrot Bank haben wir uns 2023 als einziger Allfinanzdienstleister in Österreich positioniert. Das ist die Grundlage für zukünftiges profitables Wachstum.
Wie haben sich Ihrer Meinung nach die Bedürfnisse rund ums Wohnen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Das Wohnen spiegelt immer die demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen wider. Früher waren Großfamilien die Norm, heute stehen vor allem junge Familien und Alleinstehende, die bezahlbaren Wohnraum suchen, im Fokus. Die Pandemie hat zusätzlich neue Anforderungen geweckt: So wurde etwa das Homeoffice zu einem ausschlaggebenden Faktor bei der Wohnraumwahl. Auch Themen wie Wohnen im Grünen und generationenübergreifende Wohnmodelle gewinnen zunehmend an Bedeutung. Auf politischer Ebene ist es wichtig, dass Förderungen wieder zielgerichtet in den Wohnungsbau fließen.
Die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung war daher ein wichtiger Schritt. Damit verbunden sollte sein, dass wir uns alle gemeinsam Gedanken machen, wie wir denn in Zukunft leben wollen und welche Voraussetzungen wir schaffen müssen, damit wir diese Wohnmodelle zur Verfügung haben. Wohnungen, die zum Beispiel thermisch so ausgestattet sind, dass sie einen möglichst geringen Energieverbrauch haben oder dass mehrere Generationen darin zusammenleben können. Ich glaube, da gibt es ganz viele interessante Themen.
Nachhaltigkeit ist bei Wüstenrot seit jeher wichtig. Das gilt auch im Bereich der Veranlagung.
In Zeiten großer Veränderungen – wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheiten – gewinnen Werte wie Verlässlichkeit und Beständigkeit an Bedeutung. Warum sind diese Werte gerade jetzt so zentral?
Je volatiler das Umfeld, desto stärker ist das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und Stabilität. Wir leben in Zeiten, in denen schnelle politische und wirtschaftliche Entscheidungen alles verändern können. Deshalb bauen wir auf ein Geschäftsmodell, das langfristige, planbare und verlässliche Finanzierungs- und Vorsorgelösungen bietet. Gerade nach der Finanzkrise 2008 wurde deutlich, dass schnelle Gewinne oft auf unsicherem Grund stehen. Wir bei Wüstenrot setzen auf eine umfassende Beratung – persönlich und individuell –, die für alle Kund:innen maßgeschneidert ist.
Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Wüstenrot von anderen Anbietern?
Der entscheidende Unterschied liegt im persönlichen Ansatz. Wir kombinieren digitale Lösungen mit der Möglichkeit, jederzeit kompetente Berater:innen an der Seite zu haben. Gerade bei wichtigen, langfristigen Entscheidungen wie dem Erwerb der ersten eigenen Wohnung braucht es einen verlässlichen Partner, der individuell auf die Situation der Kund:innen eingeht. So bieten wir auch jungen, digital-affinen Kund:innen die Sicherheit, dass sie umfassend betreut werden.
Viele sehen in der persönlichen Beratung ein Modell für die Zukunft. Glauben Sie, dass dieser Ansatz auch langfristig Bestand hat?
Absolut. Es gibt viele Bereiche – insbesondere in finanziellen Angelegenheiten –, in denen die „One size fits all“-Lösung nicht funktioniert. Besonders wenn es um lebenslange Finanzplanung geht, ist der direkte zwischenmenschliche Kontakt unverzichtbar.
Uns zeichnet aus, dass wir beide Welten anbieten, je nach Kundenwunsch. Die moderne Wüstenrot App, die alle Geschäftsbereiche auf einen Blick abbildet – Sparen, Finanzieren, Versichern, Vorsorgen –, und das persönliche Beratungsgespräch mit unseren Privatkundenberater:innen.
Mit der Wüstenrot Bank erreichen wir die digital-affine Zielgruppe.
Was gehört für Sie persönlich zu den grundlegenden Prinzipien in Ihrer Führungsposition?
Meine vielfältigen Erfahrungen, unter anderem auch in der Politik, haben mich gelehrt, dass jede Krise auch eine Chance ist. Ich betrachte Herausforderungen stets als Möglichkeiten, neue Wege zu finden und mich weiterzuentwickeln. Dieser positive Spirit und der Mut zur Veränderung prägen nicht nur meine berufliche, sondern auch meine persönliche Haltung.
Eine persönliche, individuelle Beratung bleibt essenziell, auch wenn KI und Digitalisierung uns viele Vorteile bringen.
Wenn Sie Wüstenrot mit drei Begriffen beschreiben müssten, welche wären das?
Vertrauen, Verlässlichkeit und Mut zur Veränderung. Unser Erfolg basiert darauf, dass wir das Vertrauen unserer Kund:innen jeden Tag aufs Neue verdienen und dabei immer offen für neue Wege und Ideen sind.
Noch eine persönliche Frage: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre erste eigene Wohnung?
Meine erste Wohnung war in Innsbruck, wo ich mit meiner besten Freundin zum Studium hinzog. Auch wenn die Bedingungen damals noch sehr einfach waren – ein Vierteltelefon für alle, eine winzige Küche –, weckt diese Zeit wunderbare Erinnerungen an Unabhängigkeit und das erste Gefühl von Selbstständigkeit.