Einige Menschen werden mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Die Kinder der Familie Schwamm mit der Schere in der Hand. Inzwischen steht bereits die fünfte Generation am Friseurstuhl. Der Salon der Familie wurde zum größten in Österreich, stürzte brutal ab und rappelte sich wieder hoch. Wir sprachen mit Jean-Pierre Schwamm in seinem Salon in der Innsbrucker Innenstadt.
In 120 Jahren wird im Salon Schwamm eine Menge Haar zusammengekommen sein. Im Jahr 1905 eröffneten Jean-Pierres Urgroßeltern Anton und Maria ihren Salon. Seitdem haben sich die Schwamms ununterbrochen durchgeschnippelt, auch durch Kriegs- und Krisenzeiten. Von Anfang an ist ihr Salon ein Familienunternehmen: Ehefrauen und Kinder, Geschwister und Schwägerinnen frisieren mit. Im Jahr 1932 tritt Jean-Pierres Opa ins Geschäft ein, im Jahr 1958 der Vater. Die Generationen geben sich nicht nur die Schere in die Hand, sie arbeiten auch miteinander. Der Uropa schneidet noch bis kurz vor seinem Tod mit 97 Jahren mit. Jean-Pierre Schwamms Opa ist noch im Salon, als er seine Lehre beginnt.
Der Schwerpunkt im Salon Schwamm liegt auf Herrenhaarschnitten. Bei Jean-Pierre Schwamm können mutige Männer sogar noch einen Messerhaarschnitt erleben – also einen Haarschnitt, der nur mit dem Rasiermesser ausgeführt wird, ganz ohne Schere oder Rasierapparat.
Wirtschaftlicher Erfolg ist vielschichtig und von zahlreichen Faktoren abhängig. Doch wenn ein Unternehmen 100 Jahre und mehr besteht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Welche Strategien, Werte und Prinzipien tragen zu diesem außergewöhnlichen Erfolg bei?
Die 100-jährige Geschichte von Wüstenrot zeigt eindrucksvoll, dass nachhaltiges Wachstum vor allem durch Kundennähe, kontinuierliche Innovationskraft und ein verantwortungsbewusstes Produktangebot gelingt.
Im Rahmen unseres Jubiläums möchten wir deshalb gemeinsam mit anderen traditionsreichen Unternehmen aus Österreich und der ganzen Welt den Erfolgsfaktoren auf den Grund gehen. Diese Gespräche geben Einblicke in bewährte Erfolgsrezepte, die Generationen verbinden und den Herausforderungen der Zeit trotzen.
Welche Meilensteine und Wendepunkte gab es im Salon Schwamm in den letzten 120 Jahren?
JPS: Bei uns ging es kräftig hoch und runter. Das scheint in der Familie zu liegen. Mein Vater wurde 1970 in das österreichische Nationalteam der Friseure aufgenommen und nahm an internationalen Frisiermeisterschaften teil, gewann 1974 mit seinem Team sogar die Weltmeisterschaft.
Im Jahr 1980 expandierte er und bezog im neu eröffneten Innsbrucker Casino einen 300 Quadratmeter großen Salon. Mit 50 Friseur:innen und 10 Lehrlingen war das damals der größte Salon Österreichs. Doch mein Vater wollte noch größer werden. Im Jahr 1989 ist er nach Florida gegangen, um dort ein Geschäft zu eröffnen. Er hat Österreichs und Deutschlands beste Friseure mitgenommen, eine Mannschaft von 15 Leuten. Um Green Cards, also Arbeitserlaubnisse, hat er sich dabei nicht gekümmert. Und erlebte eine Bauchlandung. Als er nach einem dreiviertel Jahr nach Österreich zurückkam, fand er einen Scherbenhaufen vor. Ein großer Teil der Mitarbeiter des heimischen Salons hatte sich inzwischen selbstständig gemacht. Wir standen vor dem Nichts. Die schöne Villa war futsch, wir zogen in eine kleine Wohnung. Mit einem kleineren Salon fingen wir ganz unten wieder an. Zu dieser Zeit habe ich meine Lehre gemacht. 1994 waren wir dann schon wieder 15 Leute im Salon. Wie schon mein Vater habe ich erfolgreich an Meisterschaften teilgenommen, wurde elfmal Bundesmeister und dreimal Staatsmeister. Im Jahr 2000 habe ich im Moskauer Kreml frisiert und dort die Europameisterschaft gewonnen. Für die folgende Weltmeisterschaft galt ich als Favorit. Doch vorher wieder ein Schicksalsschlag: Ich hatte einen schweren Autounfall und konnte also nicht teilnehmen.
Wie wurden Krisen und Herausforderungen gemeistert?
JPS: Wir Schwamms haben immer einen kühlen Kopf bewahrt, haben bei Schwierigkeiten zusammengehalten und sind nicht in Panik verfallen. Als Familienbetrieb mit einem guten Namen ist unser Salon ja ein Stück weit ein Selbstläufer.
In Krisenzeiten hat oft der Handel mit Waren geholfen. Ein Friseursalon war früher auch ein Umschlagplatz für Tauschgeschäfte. Mein Uropa und mein Opa haben im Krieg beispielsweise nebenbei Hasen gezüchtet und sie verkauft oder getauscht.
Krisen spüren wir eher in Form kurzer Flauten, die Leute sind kurz geschockt, dann kommen sie wieder. Auch in der gegenwärtigen Rezession zögern die Menschen eher bei großen Anschaffungen. Den Friseurbesuch gönnen sie sich.
Welche Rolle spielte und spielt Innovation?
Wir betreiben ja ein Handwerk, wir können nicht so stark automatisieren wie beispielsweise die Industrie. Aber schon mein Vater war innovativ. Er hat einige Jahre im Ausland gearbeitet und von dort das Föhnen mitgebracht. Das war bei uns in den 1960ern noch neu. Und später hat er als einer der ersten Trockenhauben mit Musikbeschallung eingeführt.
Im Moment arbeiten wir gerade an einem digitalen Anmeldesystem. Denn wir haben festgestellt, dass wir in der Woche 60 Stunden mit der Bearbeitung von Anfragen verbringen.
Vor welchen Herausforderungen steht Ihr Unternehmen in der Zukunft?
Unsere Branche hat sich sehr verändert. Die Salons werden kleiner, über die Hälfte der Betriebe sind heute Einzelbetriebe. Das hat steuerliche Vorteile, weil es für Einzelbetriebe einen hohen Freibetrag gibt. Darauf haben wir reagiert: Bei uns arbeiten jetzt alle selbstständig. Mein Sohn hat sich beispielsweise mit einem Barbershop bei uns eingemietet.
Eine große Herausforderung ist auch der fehlende Nachwuchs. Wir haben immer viel ausgebildet, ich alleine 90 Lehrlinge. Aber jetzt kommt keiner mehr. Das Hauptproblem ist übrigens nicht das Geld. Wir Friseure sind immer auch Psychologen. Wir hören uns die Geschichten der Leute an. Und das wollen die jungen Leute nicht mehr.
Warum hat der Salon Schwamm Ihrer Ansicht nach 120 Jahre durchgehalten?
Wir sind alle gesellige Menschen, von meinem Uropa bis zu meinem Sohn, wir sind immer am Weg, können gut mit den Leuten. In Innsbruck kennt uns jeder und uns mag auch jeder. Wir sind immer bodenständig, auf dem Mittelweg geblieben, wir haben auf Qualität, aber nicht auf extreme Trends gesetzt, waren nie zu teuer, nie zu billig. Zu uns kommen alle – vom Bauarbeiter bis zum Landeshauptmann.
Unternehmen: Friseur Schwamm
Gegründet: 1910
Zentrale: Friseur Schwamm, Pradler Straße 38, 6020 Innsbruck
Standorte: einer
Zahl der Mitarbeitenden: acht Mitarbeiter
Webseite: www.friseur-schwamm.at