Zwei Personen sitzen im Wohnzimmer auf dem Boden und lesen eine Zeitung
Wohnkonzepte

100 Jahre Wohnzimmer – ein Spiegel der Geschichte

Wir werfen einen Blick in die österreichischen Wohnzimmer der vergangenen 100 Jahre. In dieser Zeit haben sie einige Tapetenwechsel und Moden erlebt. Das Wohnzimmer entwickelte sich von einem repräsentativen Raum zum Zentrum des Familienlebens. Es reflektiert den gesellschaftlichen Wandel und veränderte Bedürfnisse der Menschen.

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Aufnahme eines Österreichischen Wohnzimmers um 1900
Wiener Wohnzimmer zu Beginn des 20. Jahrhunderts © Marianne Strobl

Die 1920er-Jahre: nur für besondere Gelegenheiten

In den 1920er-Jahren ist in vielen Haushalten die Küche der zentrale Aufenthaltsraum. Sie ist besonders in ärmeren Familien oft der einzige beheizte Raum im Haus. Das Wohnzimmer wird im Alltag kaum verwendet, sondern ist Feiertagen, festlichen Gelegenheiten oder Gästen vorbehalten.

Die Einrichtung ist vielfach noch geprägt vom Stil des 19. Jahrhundert mit schweren Vorhängen, wuchtigen geblümten Sofas und massiven, kunstvoll verzierten Möbeln aus dunklem Holz. Schrankwände, Buffets und Vitrinen nehmen viel Platz ein. Typisch ist auch ein mittig im Raum platzierter Esstisch mit passenden gepolsterten Stühlen.

100 Jahre Wohnen

Wüstenrot in Österreich gibt es seit 1925. Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums beschäftigen wir uns in einer kleinen Artikelserie mit der Entwicklung des Wohnens im Laufe von 100 Jahren. Lies die Artikel der Serie hier: 

100 Jahre Eigenheim – die kurze Geschichte des Einfamilienhauses

100 Jahre Elektrogeräte – die Revolution im Haushalt

Zwei alte Fotos einer Wohnstube
Wiener Wohnzimmer 1920 © MAK

Doch machen auch neue Wohnkonzepte und Materialien von sich reden. Die Kunstschule Bauhaus, 1919 in Weimar gegründet, bricht alte Muster auf und entwickelt eine neue Formensprache. Zu den bevorzugten Materialien der Bauhaus-Designer zählen Stahl und Glas. Der Ungar Marcel Breuer führt mit seinem legendären „Tubular Steel”-Stuhl Stahlrohre in die Möbelwelt ein. Doch zunächst finden diese Möbel ihren Weg ausschließlich in die Wohnzimmer der intellektuellen Elite – in der breiten Masse setzen sie sich erst später durch.

Blick in ein Wiener Wohnzimmer aus den 1930er-Jahren
Wohnzimmer in Wien 1936

Die 1930er-Jahre: Festhalten an Traditionen

Die 30er-Jahre sind in Österreich von wirtschaftlicher Depression und politischer Instabilität geprägt. Das spiegelt sich in der Einrichtung wider. Man hält sich an traditionellen Werten und Formen fest. Die Wohnzimmer sind noch stark von der vorindustriellen Ästhetik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst. Wuchtige Massivholzmöbel dominieren weiterhin den Raum. Die Farben sind gedeckt: viel Braun, Dunkelgrün und dunkle Holztöne.

Zentrales Element des Wohnzimmers ist oft noch der Ofen oder Kamin – sowohl als Heizquelle als auch als visueller Mittelpunkt des Raumes.

Das Radio wird zum Unterhaltungsmedium für jedermann, Rundfunkgeräte werden meist an einem prominenten Platz im Wohnzimmer platziert. Familien versammeln sich dort, um gemeinsam Nachrichten, Musik und Hörspielen zu lauschen. 

1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Die Frauen sitzen, wenn sie dafür Zeit finden, mit den Kindern nun oft alleine vor dem Radio. Die Wohnzimmergestaltung ist vorerst kein Thema. 

 

Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Wohnzimmers möbiliert in minimalistischem Stil in
Modernistische Wohnzimmergestaltung, Mailand 1957, © Paolo Monti, Servizio fotografico

Nachkriegszeit und 1950er-Jahre: die neue Leichtigkeit

Nach dem Krieg müssen viele Familien eine neue Bleibe finden. Wer sich neu einrichten muss, tut das zunächst mit knappen Mitteln. Die Gestaltung ist dementsprechend funktional und spartanisch. Möbel sind zweckmäßig, handgefertigt oder aus recycelten Materialien. 

Die Wohnzimmer der 50er-Jahre in Österreich spiegeln zwei unterschiedliche Lebensgefühle wider: Vor allem die jüngere Generation sucht Veränderung und orientiert sich bei Mode und Musik an amerikanischen Vorbildern. Gleichzeitig gibt es nach den Schrecken des Krieges und der Diktatur ein großes Bedürfnis nach Normalität und Stabilität.

Der Wohlstand steigt, man kann sich wieder etwas leisten. Zumindest bei der Einrichtung wagt man Neues. Design-Innovationen sind von der Moderne und zeitgenössischer Kunst beeinflusst: Leichte Möbel mit geschwungenen Formen, frische Pastellfarben und abstrakte Muster halten Einzug. Nierentisch und Tütenlampe werden zu ikonischen Ausstattungsstücken des Jahrzehnts. Sie markieren einen Bruch mit den schweren, traditionellen Möbelstücken der Vorkriegszeit.

Blick in ein Wohnzimmer aus den 1950er- / 1950er-Jahren
Wohnzimmer im Stil der 1950er-/1960er-Jahre © lvr.de

1960er-Jahre: Explosion der Farben und Muster

Die 1960er-Jahre sind eine Dekade des Aufbruchs und des Experiments. Nach den konservativen 1950er-Jahren bringen sie noch mehr frischen Wind und eine lebendigere Farbpalette in die Wohnzimmer. Kräftige Töne wie Orange, Gelb, Rot und Grün dominieren Möbel, Tapeten und Teppiche. Muster sind auffällig und geometrisch.

Kunststoffe lösen traditionelle Materialien wie Holz und Metall zunehmend ab. Die Möbel werden leichter, funktionaler und modular. Mit multifunktionalen Möbeln wie Schlafsofas, ausziehbaren Tischen, stapelbaren Stühlen oder Regalsystemen lässt sich der knappe Wohnraum flexibler und besser nutzen. Die meisten Menschen wohnen immer noch beengt.

1968 berichtet der ORF als erster deutschsprachiger Fernsehsender live von den Präsidentschaftswahlen in den USA. Der Fernseher wird zum unverzichtbaren Bestandteil der Wohnzimmereinrichtung. Er wird das kommende halbe Jahrhundert die Wohnzimmergestaltung dominieren, das gesamte Mobiliar wird auf ihn ausgerichtet.

Auch die Mondlandung 1969 ist ein Fernsehereignis. Vom Fortschrittsoptimismus der Zeit ist das sogenannte „Space Age Design” inspiriert, mit futuristischen Formen, innovativen Materialien, metallischen und knalligen Farben.

Mit der Hippiebewegung und bewusstseinserweiternden Drogen kommen „psychedelische Muster” in Mode: Fließende, verzerrte Formen und grelle, kontrastreiche Farben sollen eine hypnotische, surrealistische Wirkung erzielen. Passend dazu: die Lavalampe.

Ein psychedelisches Muster in verschiedenen Violett-Tönen
Ende der 1960er-Jahre kommen psychedelische Muster in Mode

1970er-Jahre: Kunststoff und Flokati

n den 70er-Jahren rückt mit weich gepolsterten großen Sofas und Liegesesseln das Thema Komfort in den Vordergrund. Der Sitzsack wird zum Symbol für die lässige, unkonventionelle Wohnkultur der Zeit.

In vielen Wohnzimmern läuft man jetzt auf flauschigen Flokati-Teppichen. Orange wird zur Farbe des Jahrzehnts. Synthetische Materialien werden immer populärer: Beistelltische, Hocker und Stehlampen aus buntem Kunststoff zieren die Wohnzimmer.

1977 geht in Österreich ein schwedischer Möbelanbieter für Selbstbausätze an den Start – Ikea. Möbel werden billiger und schnelllebiger. Sie begleiteten ihre Besitzer:innen fortan nicht mehr über Jahrzehnte, sondern nur noch einige Jahre. 

Nicht nur bei Möbeln legen die Österreicher selbst Hand an  – es wird gehäkelt, gestrickt, getöpfert und gebatikt, was das Zeug hält. Die Erzeugnisse werden im Wohnzimmer ausgestellt.

Mit dem Farbfernsehen kommen größere TV-Geräte ins Wohnzimmer. Hi-Fi-Anlagen mit Schallplattenspieler und Kassettengeräte werden hochwertiger und leistungsstärker. Das Wohnzimmer wird zum zentralen Raum für Musikgenuss und das gemeinsame Fernseherlebnis.

 

1980er-Jahre: Die Schrankwand kommt

Im Wohnzimmer der 80er-Jahre begegnen sich traditionelle Gemütlichkeit und technologischer Fortschritt. Die große Schrankwand aus Eiche oder Buche bietet eine Menge Stauraum und dient zur Präsentation von Deko-Objekten, Büchern oder VHS-Kassetten. Der Videorekorder ergänzt  den Fernseher. Stereoanlagen kommen vornehmlich aus Japan und prägen die Räume mit verchromtem oder grauem Plastik.

Große Sofalandschaften aus Leder sind angesagt, oft in dunklen Farben wie Schwarz, Braun, Dunkelgrün oder Weinrot.

Wer auf der Höhe des Zeitgeistes ist, holt Einrichtungsgegenstände mit knalligen Neonfarben und Hochglanzoberflächen ins Haus. Beliebte Materialien sind Glas und Chrom.

Ein Wohnzimmer mit Röhrenfernseher und Schrankwand
Typisches Wohnzimmer der 1990er-Jahre © Jung von Matt / Schroeder

1990er-Jahre: Minimalismus und Technologie

In den 90ern werden die Wohnzimmer moderner, leichter und funktionaler. Nach den schweren, dunklen Eichenmöbeln der 80er-Jahre werden helle Hölzer wie Kiefer, Buche oder Ahorn populär, cremefarbene Ledermöbel ersetzen die dunklen. Viele Wohnungen setzten auf reduzierte Formen, klare Linien und wenig Dekoration. Möbel waren oft funktional und schnörkellos. Glatte Oberflächen, insbesondere aus Glas, Metall und hellen Hölzern, waren häufig zu sehen.

Eine gegenläufige Strömung bevorzugt Möbel aus Massivholz sowie Naturmaterialien wie Rattan, Bambus, Leinen und  – Kuhfelle. Auch ethnische Mustern und Deko-Objekte sind beliebt. Dazu passend werden die Wände oft per Schwammtechnik in Terrakotta-Farben gestrichen.

In vielen Wohnzimmern läuft man in den 90er-Jahren auf Klicklaminat. 

Zum großen Röhrenfernseher, der Hi-Fi-Anlage und dem Videorekorder gesellen sich Spielekonsolen und gegen Ende des Jahrzehnts die ersten Heimcomputer. Der CD-Player löst den Plattenspieler ab. Die wachsende CD-Sammlung will verstaut und vorgeführt werden, das CD-Regal, gerne in Säulenform, bereichert die Wohnzimmereinrichtung. 

 

2000er-Jahre: Offenheit und Funktionalität

In den Nuller-Jahren setzte sich der Trend zu offenen Grundrissen durch, die Wohnzimmer und Küche miteinander verbinden.

Mit dem Internet etabliert sich der Computer im Wohnzimmer – oft auf funktionalen, aber wenig ansprechenden Computertischen. Die HD-Fernseher mit Flachbildschirm werden immer größer und wandern vom Fernsehtisch an die Wand.

Als Gegen-Akzent zu modernen Technologien setzt sich der Trend zu Holz, Wolle, Leder und anderen natürlichen Materialien weiter fort. Ein minimalistischer Stil setzt auf klare Linien, reduzierte Deko und neutrale Farben: Weiß, Grau oder Beige. 

Ein in Weiß und Beige-tonen gehaltenes, minimalistisches Wohnzimmer
Skandinavische Gemütlichkeit: Übersichtlichkeit, helle Naturtöne und natürliche Materialien

2010er-Jahre: Smart Home und Nachhaltigkeit

In den 2010er-Jahren kommen Smart Home-Technologien ins Wohnzimmer. Licht, Temperatur und Unterhaltungselektronik werden intelligent gesteuert. Laptops und Tablets verdrängen den Computer samt Tisch aus dem Wohnzimmer. Wo zuvor die Stereoanlage mit CD-Player viel Platz einnahm, reicht nun eine drahtlos mit dem Smartphone verbundener Lautsprecher.

Klare Linien, helle Farben und natürliche Materialien bestimmen das Interieur. Auffällige Dekorationen verschwinden. Angesagt ist jetzt ein skandinavischer Stil: minimalistisch und gleichzeitig wohnlich. „Hygge”wird zum neuen Zauberwort – dänische Gemütlichkeit.

Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein gewinnen auch bei der Einrichtung an Relevanz. Darauf reagieren die großen Möbelhäuser: Kommoden und Schränke, die zuvor mit glattem, weißem Finish angeboten werden, tragen nun Brauntöne und eine sichtbare Holzmaserung.

Eine Frau liegt auf einer Couch, während ein Mann an einem Schreibtisch vor einem Laptop sitzt
Wenn das Wohnzimmer zum Arbeitsplatz wird.

2020er Jahre: Das Home wird zum Office

Das Homeoffice – zunächst Pflicht, dann als Angebot – macht zu Beginn der 2020er-Jahre einen Arbeitsplatz innerhalb der Wohnung notwendig. Viele richten ihn im Wohnzimmer ein.

Während der Corona-Pandemie verbringen die Menschen deutlich mehr Zeit in den eigenen vier Wänden als gewohnt und gewollt. Das Wohnzimmer wird Arbeits-, Klassenzimmer und Fitnessstudio zugleich. Welchen dauerhaften Einfluss diese Zeit auf die österreichischen Wohnzimmer hat, muss sich noch zeigen.

Fazit:

In den letzten 100 Jahren entwickelte sich das Wohnzimmer in Österreich von einem Repräsentationsraum zu einem multifunktionalen, technologieorientierten Freizeit- und Arbeitsraum. An der Entwicklung der Wohnzimmer sind historische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen ablesbar. Das Wohnzimmer ist immer ein Spiegelbild der jeweiligen Zeit, stets anpassungsfähig und offen für neue Entwicklungen.

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